Sie nennen sich „Töchter-Kollektiv“. Es ist eine Anspielung auf eine Äußerung von Friedrich Merz, der im Oktober nach Debatten über seine Aussage über „Probleme im Stadtbild“ nachgelegt hatte: „Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte.“ Eben diese Töchter wollen nun, am 9. März kommenden Jahres, eine Antwort geben, die nicht nur für den Bundeskanzler unangenehm sein soll. Einen Tag nach dem Internationalen Frauentag, der 2026 auf einen Sonntag fällt, sollen Frauen in ganz Deutschland die Arbeit niederlegen und sich an einem „intersektional-feministischen Frauenstreik“ beteiligen.
Anstifterin dieses Projekts zivilen Ungehorsams ist die Chemnitzerin Jennifer Follmann, die schon seit längerer Zeit in den sozialen Medien, vor allem auf Instagram laut wird, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, um Rassismus oder auch um sexistische Werbung. Sie hat dort Zehntausende Follower:innen und erreicht Millionen von Menschen. Merz sei es bei seinen Äußerungen nicht um Frauen gegangen, „er instrumentalisiert sie für Rassismus“, sagt Follmann.
Merz Auslöser, aber nicht der Grund
Doch für das angekündigte Streik-Vorhaben sei er zwar der Auslöser, aber nicht der Grund: „Der eigentliche Grund liegt in dem, was viele Frauen seit Jahren erleben: Gewalt, finanzielle Abhängigkeit, Rassismus, fehlender Schutz, eine überlastete Care-Struktur und ein gesellschaftlicher Rechtsruck, der immer stärker wird“, so Follmann weiter. Der Frauenstreik soll sich also nicht gegen Merz oder eine andere einzelne Person richten, sondern gegen die Strukturen, die all das ermöglichen.
Gründe genug, um wütend zu werden, zu protestieren, auf die Straße zu gehen – aber auch für einen Streik? Ein Generalstreik ist in Deutschland, anders als etwa in Frankreich und Italien, grundsätzlich nicht erlaubt. Und Follmann vermeidet deshalb auch den Begriff.
„Generalstreiks grundsätzlich rechtswidrig“
2023 hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Expertise festgehalten, dass Streiks von Gewerkschaften organisiert und geführt werden müssen. Die Forderungen, für die gestreikt werden soll, müssen „grundsätzlich in einem Tarifvertrag regelbar“ sein. „Politische Streiks sind daher in Deutschland unzulässig. Damit sind auch Generalstreiks zur Durchsetzung politischer Forderungen grundsätzlich rechtswidrig.“
Beflügelt auch durch die große Resonanz auf das Vorhaben, schiebt Jennifer Follmann ihre Bedenken beiseite. „Wir wollen etwas Großes bewegen – und zwar auf eine Weise, die rechtssicher bleibt.“ Mehr als 1.000 Frauen hätten sich gemeldet, die aktiv mitorganisieren wollen. Und in mehr als 50 deutschen Städten entstünden bereits Monate vorher Teams zur Organisation.
Aus einzelnen Gewerkschaften gibt es positive Signale, etwa vom DGB Westbrandenburg in Potsdam oder den Frauen in Verdi Hessen. Ein Gewerkschaftsfunktionär aus Sachsen sagt hingegen: „Ich fürchte, dass wir uns zwar inhaltlich verstehen, bei der Wahl der Mittel aber nicht übereinstimmen.“ Der DGB-Bundesvorstand vermeidet eine Positionierung – und lässt eine Anfrage an die Vorsitzende Yasmin Fahimi unbeantwortet.
In einem Positionspapier des „Töchter-Kollektivs“ sind Forderungen zur Tarif- und Arbeitsmarktpolitik enthalten, die vom Streikrecht gedeckt sind. Etwa die Aufwertung von Sorgeberufen, existenzsichernde Löhne oder die Erhöhung der Tarifbindung in frauendominierten Branchen. In anderen Teilen des Forderungskatalogs geht es um Themen wie Reformen zur Entlastung Alleinerziehender, Sichtbarkeit und Wertschätzung unbezahlter Sorgearbeit, die mit klassischer Gewerkschaftsarbeit – leider – wenig oder gar nichts zu tun haben.

Sozialpolitik und Gewaltschutz hängen zusammen
Das gilt auch für die geforderte vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention, die Frauen vor Gewalt schützen soll. Das „Töchter-Kollektiv“ kritisiert: „Ein zentraler Zusammenhang wird politisch häufig ausgeblendet: Ökonomische Abhängigkeit gehört zu den stärksten Risikofaktoren für Gewalt. Wer finanziell nicht frei ist, ist auch in der eigenen Sicherheit eingeschränkt. Deshalb sind Lohnpolitik, Sozialpolitik und Gewaltschutz untrennbar miteinander verbunden.“
In einem System, das Männer bevorzugt, müssen Frauen aus der Reihe tanzen. Immer wieder werden Frauen mit negativ besetzten Etiketten behängt, um sie einzuschüchtern.
Nur ein Beispiel ist das von der Bundespolizei angestrengte Disziplinarverfahren gegen die Rostocker Bundespolizistin Chiara Malz, die sich bei der Letzten Generation engagierte. Als Malz sich wehrte, schrieb die Bundespolizei: „Die Klägerin hat sich als aufmüpfige und unbelehrbare Beamtin gezeigt, die deutlich gemacht hat, auch zukünftig an ihren Verhaltensweisen festhalten zu wollen und keinerlei Einsicht in ihr Fehlverhalten gezeigt hat.“
„Feindbild Frau“ wird ein Buch der österreichischen Autorin Ingrid Brodnig heißen, das im Februar 2026 erscheint und sich einem anderen Aspekt zuwendet: Auf oft sehr bösartige Weise sollen Frauen gezielt aus der politischen Öffentlichkeit gedrängt werden, mit Einschüchterungen, Drohungen, Kampagnen.
Hass im Netz wird gerade bei Frauen relativiert
Ingrid Brodnig beschreibt anhand von konkreten Einzelfällen, wie eine Kombination aus aggressiv formulierten Online-Posts und bedrohlichen Offline-Aktionen in unserer Demokratie etwas beschädigt. „Speziell Frauen werden mit gehässigen, häufig geschlechtsspezifischen Äußerungen aus dem Raum, in dem öffentliche Auseinandersetzung stattfindet, weggemobbt.“ Sie wolle deshalb die Mechanismen dieser Verdrängung beschreiben, sagt Brodnig. „Denn dieses Wissen kann helfen, dass möglichst viele Menschen zum Beispiel unfaire Online-Kampagnen rascher als solche einordnen, dann auch Betroffenen besser und entschiedener Rückhalt geben können.“
Die Buchautorin schreibt weiter: „Es wäre schon viel erreicht, wenn das Problem der wiederkehrenden Beleidigung, der Diffamierung und Bedrohung seltener kleingeredet oder gar als zu große Feinfühligkeit oder Privatangelegenheit von Betroffenen dargestellt würde. Zwar wird mittlerweile viel über Hass im Netz gesprochen. Aber ich staune immer wieder, wie selbst bei schwerwiegenden Fällen, gerade wenn sie Frauen betreffen, der Ernst der Lage relativiert wird.“
Die Ungleichheiten zwischen den Lebensrealitäten von Frauen und Männern sind vielfältig. Viel zu oft werden sie von der Politik bagatellisiert oder sogar befördert.
Auch das „Töchter-Kollektiv“ setzt hier an. Und setzt darauf, dass die Gewerkschaften den Frauenstreik als „legitimen Arbeitskampf“ unterstützen und Beschäftigte, die sich dem Ausstand am 9. März anschließen, rechtlich und organisatorisch absichern. Der Hashtag für die Kampagne: #ohneunsstehtallesstill. Jennifer Follmann sagt: „Der 9. März soll ein Tag sein, der politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich weh tut – weil Veränderung nur entsteht, wenn sichtbar wird, wie unverzichtbar wir sind.“ Das soll sich dann nicht nur Friedrich Merz merken.