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Greifswald – viertgrößte Stadt Mecklenburg-Vorpommerns – verfügt über einen Postkartenmotiv-tauglichen Hafen, eine der ältesten Universitäten im Ostseeraum und großen Stolz auf den wohl prominentesten ehemaligen Einwohner, den Romantik-Maler Caspar David Friedrich. Recht untypisch für das Bundesland, aber möglich durch die große Studierendenschaft: Rund ein Drittel der 56.000 Menschen, die dort leben, ist unter 30 Jahre alt. Es ist bunter als anderswo in MV. Es gibt Veranstaltungen und Engagement, zum Beispiel im Koeppenhaus, im Jugendclub Klex und im Kultur- und Initiativenhaus Straze. In denen wird seit Jahren gelesen, gegessen, gefeiert und getanzt.

AfD greift Kultur- und Jugendzentren in Greifswald an

Das soll sich ändern, wenn es nach einem AfDler ginge. Der Anfang 20-Jährige wetterte Ende November 2025 in einer Sitzung der Greifswalder Bürgerschaft gegen die drei genannten Institutionen und bezeichnete sie als „linke Agitationszentren“ und „politische Kampfeinrichtungen der linken Szene“, wie er in der Ostsee-Zeitung zitiert wird. Die von ihm postulierte ideologische Ausrichtung stößt dem Studenten, der in Image-Videos einer der ansässigen Burschenschaften auftaucht, negativ auf. Seine Lösung: Subventionen entziehen – und damit möglicherweise die Existenz einzelner Einrichtungen gefährden.

Die Straze Greifswald: offenes Kultur- und Initiativenhaus

Die Straze gibt es seit fünf Jahren in Greifswald, unten beim Hafen, gegenüber vom Getränkemarkt. Im Sommer gibts hinten einen Biergarten, man kann sich dort kostenfrei Lastenräder ausleihen. Für kleinere Veranstaltungen stehen Pinnwände und Flipcharts zur Verfügung. Der Kerngedanke: Räumlichkeiten bieten für Menschen mit Ideen. Im aktuellen Veranstaltungsprogramm stößt man auf ein Weihnachtsdeko-Tausch-Event, eine Filmpräsentation „herzerwärmender Komödien“, Jazz-Sessions und interaktive Adventskalender in Form von Improvisationstheater. Ob solche Formate politischen Kampf heraufbeschwören und „gegen Familie, gegen Tradition und gegen konservative Werte hetzen“, wie vonseiten des AfD-Politikers behauptet – fraglich. 

Auch das Straze-Selbstverständnis scheint sich mit den behaupteten Bezeichnungen nicht zu decken. Auf Anfrage erklärt eine Sprecherin, Vertreter*innen sehen sich vor allem als überzeugte Demokrat*innen, und natürlich würden sich dort Menschen mit linkem Selbstverständnis engagieren, aber eben auch welche, die sich als liberal oder mittig verorten. Und weiter: „Wir sind ein großes Team, Menschen verschiedenen Alters, unterschiedlicher Herkunft, mit und ohne Religionszugehörigkeit. Wir sind oft nicht einer Meinung, und wie in Familien und WGs wird auch in der Straze über Politik genauso hitzig gestritten wie über den Putzplan. Worin wir uns einig sind: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das Grundgesetz gilt, grundsätzlich und für alle“, so die Sprecherin. 

Und das bedeute für das Kultur- und Initiativenhaus in der Folge auch, Überzeugungen Taten folgen zu lassen – also in diesem Fall, Demokratiefeinden keine Bühne zu bieten. „Letztlich führt die Normalisierung der AfD auch zu einer Normalisierung ihrer demokratiefeindlichen und menschenfeindlichen Positionen. So können wir aber dem Schutzbedarf unserer Nutzer*innen nicht nachkommen, sie wären ständig mit Aggressionen und Grenzüberschreitungen konfrontiert.“ Für eine Einrichtung, die für queere Personen, trans Personen, geflüchtete Menschen Raum bieten will – also für alle, die gesellschaftlich isoliert werden und sonst keine oder weniger Begegnungen und Vernetzungsangebote bekommen – klingt das nicht dezidiert links. Sondern vor allem nach Menschenverstand, Pragmatismus und Konsequenz.

Subventionsentzug als politisches Instrument

Findet man etwas schrecklich, gibt es verschiedene Möglichkeiten, das zu verändern. Neue Formate vorschlagen, sich selbst engagieren, mit Menschen sprechen sind ein paar davon. Der AfDler hat eine andere „Lösung“ parat: direkt Schaden zufügen, indem man den Einrichtungen die Subventionen entzieht, die sie von der Hansestadt erhalten. Bei der Straze geht es um 25.000 Euro, wie die Sprecherin bestätigt.

Die Folge daraus? Nicht sofort schließen oder ihr Angebot komplett einstellen. Immerhin würden noch an anderen Stellen Gelder akquiriert; neben kommunalen Mitteln aus dem Haushalt der Stadt würden Anträge an das Land MV und den Bund geschrieben und europäische Mittel beantragt, antwortet die Straze-Sprecherin transparent. Zudem würde ein Teil des Budgets selbst erwirtschaftet, durch gastronomisches Angebot, Vermietungen, Spenden. Bei Wegbrechen der Förderung müssten also möglicherweise Stellen oder einzelne Angebote gestrichen werden. Das ist eine schlechte, aber immerhin schon privilegierte Situation. Andere Projekte sind noch abhängiger von einzelnen Förderungen. 

Förderkürzungen treffen Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit

Fakt ist aber auch, dass das Wegbrechen einer Förderung immer Konsequenzen hat. Denn der Schaden ist nicht nur finanziell, sondern größer. Er betrifft das Image des Initiativen- und Kulturhauses und damit auch dessen Anerkennung in der Öffentlichkeit.

Die Sprecherin erklärt: „Das Ziel solcher Verunglimpfungen ist, dass wir isoliert dastehen. Dass Menschen uns mit Skepsis begegnen, nicht mehr zu uns kommen, nicht mehr spenden, nicht mehr für uns einstehen. Es ist offensichtlich, dass das Ziel ist, dass wir aufgeben, und es immer weniger Orte gibt, an denen Menschen zusammenkommen und sich begegnen und austauschen können, barrierearm, kostengünstig.“

Third Places: Wie Kulturorte Demokratie stärken

Es geht also ein Raum verloren. Nicht nur für die einzelnen Menschen, die sich in der Straze, im Klex und im Koeppenhaus engagieren. Sondern auf einer gesellschaftlichen Ebene. Denn alle drei Institutionen lassen sich als sogenannte Third Places, also dritte Orte, einordnen – nach dem eigenen Zuhause und dem Arbeitsplatz – Orte im öffentlichen Raum, an denen sich Menschen treffen und austauschen, gemeinsam Zeit verbringen, Musik hören können.

Man muss kein Siebdruck-Fan sein, um zu verstehen, dass ein Siebdruck-Workshop als gemeinschaftliche Aktion nicht nur Spaß machen darf, sondern eben auch ein Beieinander ermöglicht – und Kommunikation, Kontakte, Kooperationen und damit Zusammengehörigkeitsgefühle und soziale Bindungen. Das sind elementare Bestandteile von Zivilgesellschaften. Deswegen kann das Wegbrechen solcher Strukturen und Räume Demokratien extrem schädigen. Einem Forscher der Universität Amsterdam zufolge kosten Einsparungen öffentlicher Services die Gesellschaft mehr, als sie tatsächlich einsparen. Politiker*innen sollten Orte wie Jugendzentren ihm zufolge deswegen nicht als Luxusgüter verstehen, sondern als notwendige Investitionen in die Zukunft.

Förderung für Vereine und Engagierte

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Breite Kritik am AfD-Vorstoß

In der Bürgerschaftssitzung sind die Einsparungen von den Mitgliedern anderer Parteien kritisiert worden. Ein SPDler studierte das Stratze-Veranstaltungsprogramm und befand Brettspielabende sowie Kinderbuchlesungen als „Spießbürgerlichkeit pur“ statt links. Ein Grüner betonte die drei Einrichtungen als Notwendigkeit für eine lebendige Stadtgesellschaft. Der Linken-Fraktionschef kritisierte, wie wenig konstruktiv der Vorwurf sei. Und ein CDU-Vertreter betonte, dass sich innerhalb der 150-Millionen-Euro-Ausgaben natürlich auch Dinge befänden, die ihm oder seiner Fraktion nicht gefielen. Aber, so zitiert ihn die Ostsee-Zeitung, auch er wisse: „Demokratie lebt von Kompromissen und Zusammenarbeit.“

Kultur, Jugendzentren, Demokratie: Greifswald braucht mehr davon

Kann man über ideologische Ausrichtungen streiten? Klar. Muss man Punkkonzerte und Jazz-Sessions toll finden, um die Wichtigkeit öffentlicher Räume zu honorieren? Nö. Ist es eine gute Idee, Orte zu platt machen, an denen sich Leute für andere Leute und gegen Menschenfeinde engagieren? Nicht, wenn man Demokratie gut findet und sie erhalten möchte. Da bräuchte es perspektivisch nämlich eigentlich mehr solcher Räume. Also mehr Strazen, nicht weniger. Dann stehen die Chancen auch besser, dass junge Menschen in Greifswald bleiben wollen. Denn wenn die fernbleiben, bringen selbst Caspar David Friedrich und der schönste Hafen nichts mehr.

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Autor*innen

Juli Katz ist freie Journalistin in Mecklenburg-Vorpommern und schreibt über Politik, Wissenschaft, Kultur und Arbeit – gerne im ländlichen Raum. Alle Beiträge

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