AfD Studie TTRex
Junge Wähler:innen, die bei der Bundestagswahl 2025 erstmals der AfD ihre Stimme gegeben haben, nehmen den Zustand des Landes als durch und durch negativ wahr. Sie sind enttäuscht von Politiker:innen und den demokratischen Parteien und begründen dies damit, dass die Politik in ihren Augen in zentralen Bereichen hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben ist. Sie monieren gebrochene (Wahl-)Versprechen und fehlende Problemlösekompetenz. Das ist das Ergebnis einer Fokusgruppen-Analyse zur politischen Meinungsbildung bei jungen, erstmaligen AfD-Wähler:innen, herausgegeben von TTRex – Thinktank Rechtsextremismus der Kampagnen-Organisation Campact und Das Progressive Zentrum. Aus den Ergebnissen der Analyse ergeben sich konkrete Hinweise darauf, wie junge Neu-AfD-Wähler:innen für demokratische Parteien zurückzugewinnen wären, denn „die Neuen“ sind in ihrer Wahlentscheidung noch nicht gefestigt.
Ein wesentlicher Grund für die Wahl ist für die befragten AfD-Neuwähler:innen ihre Enttäuschung von anderen Parteien. Es überwiegt der Eindruck, die demokratischen Parteien hätten versagt – insbesondere bei den Themen Migration und innere Sicherheit. Die Analyse zeigt, wie eng die beiden Themen in den Diskursen junger Wähler:innen verwoben sind und wie gut die Strategie der AfD bei ihnen verfängt, diese als zentrale Themen zu platzieren und zugleich den demokratischen Parteien hier die Problemlösungskompetenz abzusprechen. Darüber hinaus fühlen sich die neuen jungen AfD-Wähler:innen stark verunsichert und empfinden die Zukunft Deutschlands wie auch ihre persönliche als ungewiss. Ihr Blick auf die Demokratie ist geprägt von einem Missverständnis: Wer gewählt wird, müsse „liefern“ – und zwar gleich.
Politische Positionen von restriktiv bis progressiv
Die Untersuchung macht deutlich: Entscheidend war für viele der Befragten das Thema Migration – ein Bereich, in dem der AfD von dieser Wählergruppe die größte Fähigkeit zugeschrieben wird, Veränderungen in ihrem Sinne herbeizuführen. Während andere Themen, wie beispielsweise Rente, Steuern, aber auch das gesellschaftliche Klima, die Befragten wesentlich mehr im persönlichen Alltag beschäftigt, haben sie diese bei ihrer Wahlentscheidung zurückgestellt. Dieses Spannungsfeld zieht sich durch die gesamte Analyse: Die restriktive Perspektive der Befragten auf die Themen Migration und Asyl steht zum Teil in starkem Kontrast zu sonst teilweise eher progressiven Positionen in Bereichen wie Klima- und Energiepolitik oder Frauenrechten, vor allem dem Abtreibungsrecht. Auf diesen Feldern wird die AfD als weniger kompetent wahrgenommen, Positionen der rechtsextremen Partei werden teilweise sogar ausdrücklich abgelehnt und zurückgewiesen. Hier gäbe es für demokratische Parteien durchaus die Chance, junge Wähler:innen zu erreichen – sofern sie gerade nicht auf Migration als Mobilisierungsthema setzen. Die meisten Befragten scheinen grundlegend einen eher konservativen Lebensentwurf zu haben, wären also gerade auch für die Unionsparteien erreichbar – doch selbst den Grünen wird in manchen Bereichen politische Kompetenz zugeschrieben.
Auffällig ist auch: Die jungen AfD-Neu-Wähler:innen lehnen Extremismus zwar ab, können aber kaum definieren, wo demokratische Positionen enden und extremistische beginnen. Rechtsextremismus in der AfD gilt für sie als Einzelfall.
Victoria Gulde, Campact-Campaignerin: „Vielen jungen Menschen fehlt offenbar ein tieferes Verständnis dafür, wie unsere Demokratie funktioniert. Sie wünschen sich schnelle Ergebnisse im eigenen Sinne – „geliefert wie bestellt“ gilt für sie als politisches Prinzip. Dadurch entstehen falsche Erwartungen und verzerrte Bilder. Gepaart mit einer völlig überhitzten, rassistisch konnotierten Migrationsdebatte und berechtigter Zukunftsangst ergibt sich daraus der Nährboden für Frust und anti-demokratische Positionen. Neben einer Politik, die Zukunftsthemen wie die Energiewende ins Zentrum rückt, brauchen wir dringend mehr Geld für politische Bildung und für umfassende und dauerhafte Demokratieförderung. Denn jeder Cent hierfür ist eine Investition in die Demokratie.“
Wunsch nach verlässlicher Haltung, offen für andere Wahlentscheidung
Ein Ansatzpunkt für demokratische Parteien: Junge AfD-Neuwähler:innen sind noch bereit, bei der nächsten Wahl anders zu entscheiden – wenn sie sich gesehen und mit ihrem Bedürfnis nach Sicherheit und guten Zukunftsperspektiven ernst genommen fühlen. Sie honorieren klare, verlässliche Haltungen, wünschen sich schnelle Kommunikation, hohe Responsivität, Bürgernähe und Pragmatismus in der Sache.
Paulina Fröhlich, stellvertretende Geschäftsführerin des Progressiven Zentrums: „Angesicht des verheerenden Wahlergebnisses bei der letzten Bundestagswahl braucht es eine ruhige und glasklare Abgrenzungserklärung aller Demokrat:innen – diese Erklärung muss verständlich sein und ständig wiederholt werden. Zentral für eine – durchaus mögliche – Wahlentscheidung für andere Parteien ist, dass unsere Befragten das Gefühl haben müssen, sich auf die anderen Parteien verlassen zu können. Demokratische Akteure müssen spürbar Versprechen halten, Sicherheit schaffen und dabei ehrlich und zugewandt kommunizieren.”
Hintergrund der Analyse
Bei der Bundestagswahl 2025 hat die AfD im Parteienvergleich den größten Stimmenzuwachs unter den 18- bis 24-Jährigen verzeichnet. In einem gemeinsamen Projekt haben der Thinktank TTRex von Campact und Das Progressive Zentrum Gespräche in vier moderierten Fokusgruppen mit insgesamt 26 Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren geführt. Die Rekrutierung und Moderation der Fokusgruppen erfolgte über die Agentur für Wahl- und Meinungsforschung pollytix. Alle Teilnehmer:innen haben bei der Bundestagswahl 2025 erstmals der AfD ihre Stimme gegeben und hatten bei vorherigen Wahlen eine andere Partei oder gar nicht gewählt.
Herausgebende der Analyse sind der Thinktank Rechtsextremismus (TTRex) von Campact sowie Das Progressive Zentrum. Autorin Paulina Fröhlich ist stellvertretende Geschäftsführerin und verantwortet den Schwerpunkt „Resiliente Demokratie“ des Progressiven Zentrums.
Das vollständige Paper finden Sie hier.