Zivilgesellschaft unter Druck
Mehr als 600.000 Vereine halten unsere Demokratie lebendig. Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich mit ihnen für unser aller Zusammenleben – und wirken so auch an der politischen Willensbildung mit. Während die AfD und mittlerweile auch CDU und CSU versuchen, kritische Organisationen einzuschüchtern und mundtot zu machen, stärken wir bei Campact der Zivilgesellschaft den Rücken.

- Über 600.000 Organisationen in der Zivilgesellschaft engagiert
- Zivilgesellschaft ist gemeinnützig
- Ein Angriff auf alle, die sich engagieren
- So finanziert sich die Zivilgesellschaft
- Nichtregierungsorganisationen sind die „Wachhunde“ der Demokratie
- Attac-Urteil schränkt gemeinnützige Organisationen ein
- Große Verunsicherung bei NGOs
- Campact verteidigt die Zivilgesellschaft
Über 600.000 Organisationen in der Zivilgesellschaft engagiert
Millionen Menschen in Deutschland machen sich für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland stark – unabhängig von Staat und Privatwirtschaft. Sie sind die Zivilgesellschaft, die Gesellschaft der Bürger*innen. Sie engagieren sich in über 600.000 eingetragenen Vereinen, vom örtlichen Chor bis zur bundesweit tätigen Umweltschutzorganisation.[1] Die Zivilgesellschaft spielt in unserer Demokratie eine unverzichtbare Rolle: Sie übernimmt viele Aufgaben, um die sich der Staat nicht kümmert. Sie verschönert Dörfer und Städte, hilft Geflüchteten und alten Menschen und sorgt für ein Kultur- und Sportangebot. Darüber hinaus wirkt sie an der öffentlichen Meinungsbildung mit. Dieses Recht sichert das Grundgesetz.
Tausend Organisationen
engagieren sich in der Zivilgesellschaft
Tausend Organisationen
haben Angst, sich politisch zu äußern
Fragen
stellte die Union der Bundesregierung im Februar 2025, um die Zivilgesellschaft einzuschüchtern
Zivilgesellschaft ist gemeinnützig
Für viele zivilgesellschaftliche Vereine ist der Status der Gemeinnützigkeit überlebenswichtig. Und genau da setzen Rechte an, um die Zivilgesellschaft zu schwächen. Die rechtsextreme AfD nutzt seit Jahren gezielt die fehlende Eindeutigkeit im Gemeinnützigkeitsrecht aus, um Organisationen einzuschüchtern, die sich für Demokratie, humane Migrationspolitik und Klimaschutz engagieren. Und nun greifen zunehmend auch CDU und CSU Vereine an, stellen ihre Gemeinnützigkeit ohne Beweise infrage und gefährden so ihre Arbeit.
Die Gemeinnützigkeit
Organisationen, die laut Gesetz selbstlos und im Sinne der Allgemeinheit tätig sind und sich zum Beispiel für die Gleichberechtigung der Geschlechter, den Naturschutz oder Hilfe für Geflüchtete einsetzen, kann das Finanzamt der Status der Gemeinnützigkeit zuerkennen.[2] Das bringt Steuererleichterungen für die Organisationen mit sich und Spender*innen können ihre Zuwendungen von der Steuer absetzen. Die Gemeinnützigkeit gilt aber auch als Gütesiegel für die Arbeit von Organisationen, die sich für das Gemeinwohl und die Allgemeinheit stark machen.
Ein Angriff auf alle, die sich engagieren
Mehr als 1,5 Millionen Menschen waren Anfang des Jahres auf den Straßen – weil Friedrich Merz die Brandmauer gegen die AfD ins Wanken gebracht hat. Doch statt sich der Kritik zu stellen, greift der CDU-Chef zur Methode Trump und attackiert die Zivilgesellschaft. Nur einen Tag nach der Bundestagswahl haben CDU und CSU eine Kleine Anfrage mit 551 Fragen an die noch amtierende Bundesregierung geschickt, mit denen sie 17 Organisationen angreifen; darunter Campact, Foodwatch und die Amadeu Antonio Stiftung.[3] Die Fragen zielen darauf ab, die Glaubwürdigkeit der Initiativen zu untergraben – so etwas hat bisher vor allem die AfD versucht. So unterstellt die Union ohne jeden Beweis, die Organisationen würden Gelder zweckentfremden oder einseitige Narrative verbreiten. Auch in Reden wettert Merz gegen die Zivilgesellschaft und beschimpfte Engagierte als „linke Spinner“, die „nicht mehr alle Tassen im Schrank“ haben.[4]
Zuvor drohte bereits der Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg, die an Protesten beteiligten Vereine aus dem Förderprogramm „Demokratie leben!“ auszuschließen, sobald die Union die Kontrolle darüber hat. Er kündigte an, den Vereinen ihre Gemeinnützigkeit abzuerkennen und Förderprogramme des Bundes „gegebenenfalls auch ganz zu streichen“.[5]
Angriffe der Union schüchtern Vereine ein
Die Folgen für die betroffenen Organisationen wären verheerend: Ohne Fördergelder und den Status der Gemeinnützigkeit können viele Vereine nicht überleben und sehen sich womöglich mit heftigen Steuernachzahlungen konfrontiert. Die Angriffe der Union schüchtern Vereine ein. Viele von ihnen könnten nun auf wichtige Demokratiearbeit verzichten. 30.000 Vereine fürchten bereits, ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren, wenn sie Demonstrationen anmelden oder Äußerungen von Politiker*innen kritisieren und halten sich deswegen zurück. Ihre Stimmen fehlen in der demokratischen Debatte.
Wenn AfD und Union also Vereine und Initiativen angreifen, deren Arbeit ihnen nicht gefällt, dann ist das ein Angriff auf alle Engagierten. Denn die Zivilgesellschaft kann nicht unpolitisch sein. Es gibt viele gemeinnützige Vereine, für die klare politische Statements wichtig sind: Sportvereine, die sich gegen Rassismus stark machen, den Schachverein, der in Schulen über die Demokratie aufklärt, Jungbäuer*innen, die für den Klimaschutz auf die Straße gehen.
So finanziert sich die Zivilgesellschaft
Mitgliedsbeiträge und Spenden sind für die Zivilgesellschaft die wichtigsten Einnahmen. Darüber hinaus bekommen 38 Prozent der Organisationen öffentliche Fördergelder.[1] Häufig werden die Gelder zweckgebunden und nur für einzelne Projekte vergeben. Andere Organisationen – wie auch Campact – nehmen gar kein Geld vom Staat. In ihren Anfragen differenzieren AfD, CDU und CSU nicht. Sie suggerieren, die Zivilgesellschaft würde von der Regierung oder aus dem Ausland kontrolliert.[3] Organisationen, die von öffentlichen Mitteln abhängig sind, könnte es die Existenz kosten, wenn ihre Finanzierung gekürzt würde.
Kennst Du jemanden, der das wissen sollte?
Die Zivilgesellschaft ist Teil unserer Demokratie. AfD und CDU/CSU gefährden sie mit ihren Angriffen. Teile diese Informationen jetzt mit allen, die davon erfahren sollten.
Nichtregierungsorganisationen: „Wachhunde“ der Demokratie
Die Zivilgesellschaft ist Teil einer funktionierenden Demokratie. Sie ist genauso entscheidend wie eine unabhängige Presse und politische Parteien. Das findet auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die Organisationen seien wie ein „öffentlicher Wachhund“: Sie vertreten hartnäckig demokratische Werte, haben einen wachen Blick auf Gesellschaft und Politik und schlagen bei Missständen Alarm. Weil sie so wichtige Funktionen erfüllt, muss die Zivilgesellschaft laut EGMR auch besonderen Schutz genießen.[6]
Selbstverständlich dürfen sich auch gemeinnützige Vereine an der öffentlichen Debatte beteiligen und Stellung beziehen – das ist ihr Recht.[7] Das Grundgesetz macht klar: Nicht nur die Parteien wirken an der politischen Willensbildung mit – auch die Zivilgesellschaft spielt hier eine Rolle.[8] Deshalb müssen auch gemeinnützige zivilgesellschaftliche Akteur*innen Position zu Äußerungen von Politiker*innen beziehen können. Auch wenn sie Parteien nicht direkt oder indirekt unterstützen dürfen, dürfen gemeinnützige Vereine durchaus Kritik an parteipolitischen Positionen äußern.
Attac-Urteil schränkt gemeinnützige Organisationen ein
Allerdings schafft das veraltete Gemeinnützigkeitsrecht, verstärkt durch das Attac-Urteil [9], Unsicherheit. Mit diesem Urteil hat der Bundesfinanzhof 2019 die politische Arbeit von gemeinnützigen Organisationen stark begrenzt. Es bedroht auch die wichtige Funktion der Zivilgesellschaft als Wächterin der Demokratie. Denn das Gericht schränkte die Teilnahme an öffentlichen Diskursen ein – gerade für Organisationen, die sich für politische Bildung und die Förderung des demokratischen Staatswesens einsetzen.
Die Einengung des Zwecks der politischen Bildung hat weitreichende Folgen. Vor allem für Organisationen, die im Bereich der Demokratieförderung oder der sozialen Gerechtigkeit arbeiten oder sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oder Rechtsextremismus einsetzen. Solche Organisationen hatten sich zuvor als „Notlösung“ auf den Zweck der politischen Bildung berufen können – nun fehlt vielen von ihnen ein passender Zweck in der Abgabenordnung. Wenn sich Vereine künftig besorgt über gesellschaftliche Ungleichheit, die Macht großer Konzerne oder die Bedrohung der Demokratie durch Rechtsextremismus äußern, riskieren sie ihre Gemeinnützigkeit und damit ihre Existenz.
Das Attac-Urteil
Nach jahrelangem Rechtsstreit hatte der Bundesfinanzhof (BFH) 2019 entschieden, dass die Kampagnen der Organisation Attac keine politische Bildungsarbeit sind. Das höchste deutsche Finanzgericht urteilte, dass politische Bildung nicht eingesetzt werden dürfe, um die politische Willensbildung zu beeinflussen. Gemeinnützige politische Bildungsarbeit müsse in „geistiger Offenheit“ stattfinden, entschied der BFH, ohne diesen Begriff genauer zu definieren.[9]
Große Verunsicherung bei NGOs
Viele gemeinnützige Vereine sind verunsichert, inwieweit sie sich politisch engagieren dürfen. Sie haben Angst, ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren, wenn sie sich in erster Linie politisch für ihre gemeinnützigen Zwecke einsetzen – wenn sich also ein Umweltschutzverein nur mit Petitionen, Protesten und Politiker*innen-Gesprächen für mehr Radwege oder besseren ÖPNV stark macht. Vereine und Initiativen werden vor eine schwierige Entscheidung gestellt: Entweder schränken sie ihre wichtige Arbeit ein oder sie gefährden ihren gemeinnützigen Status.
Auch die Europäische Kommission mahnt in ihrem Bericht über Rechtsstaatlichkeit immer wieder, dass die rechtliche Lage der Zivilgesellschaft in Deutschland prekär ist.[10]
„In der Zwischenzeit sehen sich zivilgesellschaftliche Organisationen weiterhin mit den negativen Folgen der Ungewissheit in Bezug auf ihren steuerlichen Status konfrontiert, wenn sie eine ‚politische Tätigkeit‘ ausüben, auch wenn diese Tätigkeit nur gelegentlich erfolgt. Die Angst vor dem Verlust der Steuerbefreiung und die sehr lange Bearbeitungszeit bis zu einer Entscheidung der Steuerbehörden können die Bereitschaft von zivilgesellschaftlichen Organisationen, sich an der öffentlichen Debatte zu beteiligen, beeinträchtigen.“
Europäische Kommission
Genau diese Unsicherheit nutzen Union und AfD aus, indem sie zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstellen, parteipolitische Interessen zu verfolgen und so ihre Gemeinnützigkeit infrage stellen.
Campact verteidigt die Zivilgesellschaft
Im Zuge des Attac-Urteils hat das Finanzamt Berlin im Oktober 2019 auch Campact die Gemeinnützigkeit aberkannt. Gemeinsam mit Attac und über 180 anderen Vereinen und Stiftungen setzt sich Campact seitdem in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ für eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen für Gemeinnützigkeit ein.

An die zukünftige Bundesregierung richtet Campact insbesondere fünf Forderungen, um die Zivilgesellschaft zu schützen.
1. Das Programm „Demokratie leben!“ erfolgreich fortsetzen
„Demokratie leben!“ darf nicht von einem unionsgeführten Ministerium verwaltet werden, denn sonst könnten CDU und CSU Projekten von kritischen Organisationen die Förderung entziehen. Außerdem muss klargestellt werden, dass die Auseinandersetzung mit parteipolitischen Positionen die Gemeinnützigkeit nicht gefährdet.
2. Eine gesetzliche Grundlage für die Förderung von Demokratie-Arbeit schaffen
Die Demokratieförderung des Bundes muss dauerhaft in Gesetzesform verankert werden – das schafft Sicherheit für wichtige Projekte und macht sie weniger angreifbar. Dabei müssen auch längerfristige Förderperioden (fünf bis zehn Jahre) sichergestellt werden.
3. Gemeinnützigkeit des Demokratie-Engagements schützen
Engagement für demokratische Werte ist bisher nicht ausreichend in der Abgabenordnung verankert. Das verunsichert und macht angreifbar. Die Liste der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenordnung muss deshalb um einen robusten Demokratieförderzweck und um die Förderung der Grund- und Menschenrechte ergänzt werden. Die Bundesregierung muss klarstellen, dass politische Betätigung zum eigenen Satzungszweck auch überwiegend oder ausschließlich möglich ist und dass sich gemeinnützige Organisationen auch außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen äußern können.
4. Desinformation bekämpfen, Medienkompetenz schulen
Desinformation und Falschbehauptungen schüren Misstrauen und Angriffe gegen die Zivilgesellschaft. Das Bildungsministerium muss darum mit einem bundesweiten Programm Informations- und Medienkompetenz fördern – von der finanziellen Förderung für Bildungsprojekte und -initiativen bis zur Einführung entsprechender Schulfächer.
5. Menschen unterstützen, die für ihr Engagement angegriffen werden
Die bedrohte Zivilgesellschaft – das sind nicht nur Vereine und Organisationen, die sich für die Demokratie einsetzen. Es sind auch Menschen, die immer mehr rechtsextremer Gewalt ausgesetzt sind. Diese Menschen wirksam zu unterstützen, ist Aufgabe der Bundesregierung. Sie muss einen Soforthilfefonds für Opfer von rechtsextremer Gewalt und Hasskriminalität einrichten.
Für diese Forderungen setzen wir uns ein – mit Appellen, Öffentlichkeitsarbeit und in Gesprächen mit Politiker*innen. Gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützen wir darüber hinaus Organisationen, die ihre Gemeinnützigkeit verlieren könnten oder die sie bereits verloren haben, weil sie sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Betroffene Organisationen können sich an die GFF wenden, um zu prüfen, ob eine Unterstützung möglich ist. Campact hat einen Fonds aufgelegt, um Anwalts- und Gerichtskosten zu bezahlen. Und auch unabhängig vom Status der Gemeinnützigkeit fördern wir zivilgesellschaftliches Engagement immer wieder finanziell, zum Beispiel mit dem WeAct Impact Fund für Petent*innen auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, oder mit dem Gegenwind-Fonds für Zivilgesellschaft in Ostdeutschland.
Quellen
[1] Ziviz-Survey 2023, Internetseite des Stifterverbands, eingesehen am 6. März 2025
[2] Abgabenordnung (AO), § 52 Gemeinnützige Zwecke, Internetseite des Bundesjustizministeriums
[5] „Union warnt gemeinnützige Vereine vor ‚Stimmungsmache‘ gegen Merz“, Zeit Online, 13. Februar 2025
[8] Artikel 21 des Grundgesetzes, Internetseite des Bundesministeriums der Justiz